Wir wollen ein Stück vom Universum!
Sternengeschichten Folge 623: Sample-Return Missionen
Astronomie ist eine Naturwissenschaft, die sich auf eine sehr grundlegende Art von allen anderen Naturwissenschaften unterscheidet. Die Objekte, die in der Astronomie erforscht werden, sind so gut wie immer extrem weit entfernt. In der Geologie kann man durch die Gegend wandern und unterschiedliche Gesteinsschichten direkt vor Ort erforschen. In der Biologie kann man ebenfalls direkt in der Natur arbeiten oder DNA, Mikroorganismen, und so weiter ebenso direkt im Labor untersuchen. Auch Physik und Chemie können das, was sie untersuchen, direkt untersuchen. Aber in der Astronomie geht das nicht. Sterne sind absurd weit entfernt; selbst der nächste Stern - die Sonne - ist 150 Millionen Kilometer von uns entfernt. Das gilt noch viel mehr für ferne Galaxien, und es gilt auch für die Planeten, von denen wir zwar ein paar in unserem eigenen Sonnensystem haben, von denen aber auch fast alle für uns unerreichbar sind. Deswegen ist die Astronomie auch eine Wissenschaft, in der die Optik eine so fundamentale Rolle spielt: Alles, was wir über das Universum wissen, wissen wir nur deswegen, weil wir gelernt haben, das Licht, das uns aus dieser unvorstellbaren Ferne erreicht hat, so genau zu untersuchen wie es sonst keine andere Wissenschaft kann.
Natürlich gibt es Ausnahmen. Es gibt Meteoriten, die aus dem Weltall auf die Erde gefallen sind. Wir haben es geschafft, ein paar der Himmelskörper des Sonnensystems mit Raumsonden zu erreichen und Forschung direkt vor Ort anzustellen. Wir haben einen dieser Himmelskörper - den Mond - sogar selbst besucht. Aber die überwiegende Mehrheit unserer Information haben wir indirekt aus dem Licht gewonnen. Um so wichtiger ist es für uns, die paar Informationsquellen zu nutzen, die uns eine direkte Erforschung ermöglichen und genau deswegen, sind die "Sample Return Missionen" der Raumfahrt auch von so großer Bedeutung für die Astronomie.
"Sample Return" heißt so viel wie: Proben-Rückführung. Und das sagt auch schon sehr gut, worum es geht: Wir holen uns eine Probe von irgendwo aus dem Weltraum auf die Erde, damit wir sie hier in alle Ruhe und mit allen wissenschaftlichen Möglichkeiten untersuchen können. Wobei "irgendwo aus dem Weltraum" natürlich übertrieben ist. Wir können nicht zu einem anderen Stern fliegen, dort ein Stück abknapsen und zur Erde bringen. Das können wir nicht mal bei der Sonne, weil ein Stern ein Objekt ist, von dem man keine Probe im eigentlich Sinn nehmen kann. Dazu müssten wir auf der Erde auch noch die Bedingungen nachstellen, die in einem Stern herrschen und das schaffen wir nicht. Aber wir könnten durchaus überlegen, ein Stück vom Mond zur Erde zu bringen. Genau das war auch eines der vorrangigen Ziele, als man in den 1960er Jahren die ersten Missionen zu unserem Nachbarn im All geplant hat. Der erste Versuch einer solchen Sample Return Mission hat am 14. Juni 1969 stattgefunden. Die sowjetische Raumsonde Luna E-8-5 No.402 (zugegeben ein etwas sperriger Name) stand am Raketenstartplatz in Baikonur bereit, um zu Mond zu fliegen, dort zu landen, Bodenproben zu sammeln und sie zurück zur Erde zu bringen. Wenn das funktioniert hätte, dann wären diese Proben vielleicht auf der Erde angekommen, bevor die Astronauten von Apollo 11 erfolgreich wären, die sich in den USA gerade bereit gemacht haben, auf ihren historischen Flug zum Mond zu starten. Aber ich habe nicht umsonst den Konjunktiv verwendet: Die Rakete hat nicht richtig funktioniert und die Sonde hat ihre Umlaufbahn nicht erreicht.
In einem letzten Versuch, die USA vielleicht doch noch irgendwie zu schlagen, wurde ein paar Wochen später, am 13. Juli 1969 die Raumsonde Luna 15 gestartet. Auch ihr Ziel war es, Proben vom Mond zur Erde zu bringen. Diesmal hat der Start geklappt und am 17. Juli 1969 war Luna 15 in einer Mondumlaufbahn. Dort blieb man zwei Tage lang, um alle Systeme zu checken. Wer die historischen Daten im Kopf hat, wird wissen, dass zu diesem Zeitpunkt die drei Astronauten von Apollo 11 schon im Weltall waren. Ihre Rakete startete am 16. Juli 1969 und am 19. Juli waren Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins schon in einer Bahn um den Mond herum. Am 21. Juli 1969 fand der historische Moment statt: Armstrong und Aldrin haben als erste Menschen die Mondoberfläche betreten. Und am 21. Juli 1969 versuchte auch die Sowjetunion, Luna 15 zu landen. Leider ohne Erfolg: Statt einer sanften Landung gab es einen Einschlag und die Sonde wurde auf der Mondoberfläche zerstört. Übrigens über 500 Kilometer weit von der Landestelle von Apollo 11 entfernt.
Wenn alles geklappt hätte, wäre Luna 15 nur kurz nach Apollo 11 zur Erde zurückgekehrt und vielleicht hätte man die ersten Proben eines anderen Himmelskörpers noch vor den USA der Welt präsentieren können. So waren es dann aber doch die drei amerikanischen Astronauten, die das erste Mal Gestein von einem anderen Ort im Weltraum auf die Erde gebracht haben. Insgesamt 22 Kilogram Mondgestein haben so am 24. Juli 1969 unsere Erde erreicht und geforscht wird daran noch heute. Ebenso wie an den gut 360 Kilogram Mondgestein, die bei den folgenden Mondlandungen mitgebracht wurden. Zwischenzeitlich war dann die Sowjetunion auch noch erfolgreich. Nach ein paar weiteren Fehlschlägen hat dann schließlich die Sonde Luna 16 das geschafft, was man von Anfang an wollte: Am 20. September 1970 fand eine sanfte Landung auf dem Mond statt; damals war das auch gleichzeitig die erste Landung, die in der Mondnacht stattgefunden hat. Ein automatischer Bohrer hat angefangen zu bohren, 35 Zentimeter tief. 100 Gramm Material aus dem Mondboden wurden in eine Kapsel verfrachtet und die Raumsonde hob wieder ab um die Kapsel am 24. September 1970 über Kasachstan abzuwerfen, wo sie dann auch sicher geborgen werden konnte. Das ist der Sowjetunion danach noch zwei weitere Male gelungen, mit den Sonden Luna 20 im Jahr 1972 und mit Luna 24 im Jahr 1976. Weitere 55 beziehungsweise 170 Gramm Mondmaterial haben so die Erde erreicht.
Nach diesen Erfolgen am Mond hat man sich aber auch Gedanken gemacht, wie man an Proben von anderen Himmelskörpern gelangen könnte. Am 7. Februar 1999 flog die amerikanische Sonde Stardust ins All. Ihr Ziel: Der Komet Wild 2, aus dessen Staubhülle man Proben einsammeln wollte. Hier konnte man sich natürlich nicht so einfach irgendwo hinein bohren. Dazu hätte man dort landen müssen, was technisch aber noch außer Reichweite war. Aber ein Komet ist ja von einer Koma umgeben, einer Hülle aus Staub, der freigesetzt wird, wenn das Eis aus dem so ein Komet zu einem großen Teil besteht, bei Annäherung an die Sonne auftaut und gasförmig wird. Stardust hatte ein spezielles Sammelsystem aus Blöcken von Aerogel mit dabei. Vereinfacht gesagt, lauter kleine Kästchen, gefüllt mit einem sehr porösen Gel, das die Staubteilchen, die sich ja sehr schnell bewegen, abbremsen und einsammeln kann. Dieser Behälter wurde dann über der Erde abgeworfen und konnte am 15. Januar 2006 geborgen werden. Insgesamt hatte man kapp ein Gramm Material eingesammlt, was nach wenig klingt, aber dann doch sehr viel ist, wenn man bedenkt, dass man nur einzelne Staubteilchen gesammelt hat.
Nach dem Kometen wollte man auch Material von Asteroiden haben. Das sind ja immerhin die Objekte, aus denen die Planeten entstanden sind; das ist das ursprüngliche Material des Sonnensystems und wenn wir verstehen wollen, wie alles angefangen hat, brauchen wir dieses Material in möglichst unverfälschter Form. Der erste Versuch, Proben von einem Asteroiden zu nehmen, fand im Rahmen der Hayabusa-Mission der japanischen Weltraumagentur statt, mit nur teilweisem Erfolg. Die Annäherung an den Asteroid Itokawa hat noch probemlos funktioniert, dann gab es aber diverse technische Probleme. Der Versuch einer Landung wurde abgebrochen, nur um nachher feststellen zu müssen, dass die Sonde dennoch gelandet ist. Ein zweiter Landeversuch schien erfolgreich verlaufen zu sein. Aber man war sich nicht sicher, ob man tatsächlich Proben genommen hatte. Als die Probenkapsel am 13. Juni 2010 wieder zurück auf der Erde war, enthielt sie weniger als ein Gramm Material. Deutlich weniger als erwartet, aber immerhin die ersten Proben von einem Asteroiden. Mit Hayabusa-2 konnte man die Probenentnahme dann aber erfolgreich durchführen: Im Dezember 2020 haben uns damit mehr als 5 Gramm Material des Asteroiden Ryugu erreicht. Noch mehr, nämlich 121 Gramm, hat die NASA Mission OSIRIS-REx im September 2023 vom Asteroid Bennu auf die Erde gebracht.
Wir hätten eigentlich auch schon Material von anderen Objekten in unseren Labors haben sollen. Russland wollte im November 2011 zu Phobos starten, einem der beiden Monde des Mars. Aber die Mission Fobos-Grunt schlug fehl und erreichte keine Flugbahn die sie zum Mars gebracht hätte. Dafür ist China mittlerweile erfolgreich auf dem Mond gelandet und hat uns noch ein paar Kilogram Mondgestein mitgebracht.
Natürlich wäre es auch super, eine Probe von einem anderen Planeten zu bekommen. In Frage kommt dafür vorerst eigentlich nur der Mars, die anderen Himmelskörper sind zu weit weg, haben keine feste Oberfläche oder, wie bei der Venus, zu feindliche Umweltbedingungen für eine Landung. Pläne für eine Sample Return Mission zum Mars hat es schon in den 1970er Jahren gegeben. Die Sowjetunion wollte das so machen, wie sie es auch beim Mond geplant hatten, nur mit entsprechend größeren Raketen. Die haben aber alle nie funktioniert und deswegen hat man das irgendwann bleiben lassen. Auch die NASA und die europäische Raumfahrtagentur ESA wollten ein Stück Mars zur Erde bringen. Und der Marsrover Perseverance der NASA hat im Februar 2021 auch tatsächlich Proben gesammelt und sicher in einem entsprechenden Behälter verpackt. Nur liegt der leider immer noch am Mars, der Teil der Mission, bei der eine weitere Sonde dort landen, die Proben aufnehmen und zurück zur Erde bringen hätte sollen, ist dann nicht mehr finanziert worden.
Früher oder später wird es aber klappen. Wir werden Proben vom Mars haben; wir werden noch andere Asteroiden besuchen, und Teile von Kometen auf die Erde bringen. Die Daten, die wir aus diesen außerirdischen Materialien gewinnen können, sind einfach zu wichtig für die Forschung, als dass wir den Versuch aufgeben könnten.