Der notorische Ausschluss von Menschen oder Themen aus einem gesellschaftlichen Diskurs ist kein friedvoller Akt. Sich gegenseitig wertschätzend zuzuhören, ist die Grundlage einer friedlichen Kommunikation. Eine wertschätzende Verständigung dringt nicht auf Überzeugung, also den Konsens, sondern hat einen friedlichen Diskurs zum Ziel. Dieser ist Grundlage einer friedlichen Gesellschaft. Ein Auszug aus dem Buch „Kant & Corona: Wie viel Aufklärung leisten Medien und Politik? Wie wenig Aufklärung verträgt die Demokratie?“

Von Alexander Jacobi.

Wenn Menschen der Regierung misstrauen, ist es eine Auszeichnung eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats, wenn sich auch diese kritischen Menschen in diesem Land wohl fühlen. Es ist ein gutes Anzeichen für einen selbstbewussten, freiheitlich-demokratischen Staat, wenn in Diskussionen offen und kritisch über Regierungsmaßnahmen gesprochen werden kann – ohne dass daraus negative Folgen für den kritisch Sprechenden resultieren und ohne dass sich die kritisch Sprechenden dabei unwohl fühlen. Allein das Gefühl des Unwohlseins ist dagegen leiser Indikator einer rechtsstaatlich problematischen Entwicklung.

„Politisch Andersdenkende […] dürfen mit ihren Auffassungen auch in Zukunft nicht an den Rand gedrängt werden, auch dann nicht, wenn ihre Ansichten der Mehrheit noch so abwegig erscheinen.“ (1)

Diese Bemerkung Helmut Schmidts kann nur Bestand haben, wenn sie um eine eminent wichtige Unterscheidung ergänzt wird. Die Unterscheidung zwischen Tatsachen und Meinungen. Wer Tatsachen als bloße Meinungen, als subjektive Ansichten, als Einzelmeinungen bezeichnet, verkennt diesen außergewöhnlich wichtigen Unterschied. Der Unterschied wird aus „Faulheit und Feigheit“ verkannt, wie Immanuel Kant in seiner Aufklärungsschrift schreibt, oder aus taktischem Kalkül mit dem Ziel der Diskreditierung, um eigene Interessen durchzusetzen.

Von diesen Menschen werden „unbequeme geschichtliche Tatbestände […] behandelt, als seien sie keine Tatsachen, sondern Dinge, über die man dieser oder jener Meinung sein könne“, so Hannah Arendt, die dies als „ein politisches Problem allererster Ordnung“ begreift. Die Tatsache der fehlenden Aussagekraft des PCR-Tests, die Tatsache der geringen Letalität von Covid-19, die Tatsache der wenig herausstechenden Gesamtsterblichkeit im Jahr 2020 und die Tatsache der fehlenden Wirksamkeit von Shutdowns werden in der politisch-massenmedialen Darstellung zu „Meinungen“ degradiert. Es findet eine Vermengung von Tatsachen und Meinungen statt.

Die Möglichkeit eines regierungskritisch geführten Gesprächs, auch über die Unterscheidung von Tatsachen und Meinungen, im kleinen wie im gesamt-gesellschaftlichen Kreis ist dabei ein Anzeichen für einen toleranten Staat. Die Bedingung der Möglichkeit für einen kritisch geführten Diskurs ist die Einsicht in die Notwendigkeit der Selbstkritik und die daraus folgende Wertschätzung gegenüber denjenigen, die andere Tatsachen diskutieren, da wir diese anderen Tatsachen für die Selbstkritik und damit für die Verbesserung gesellschaftlicher Zustände benötigen. (2) Sich gegenseitig wertschätzend zuzuhören, ist die Grundlage einer friedlichen Kommunikation. Eine wertschätzende Verständigung ist eine Kommunikation, die nicht auf Überzeugung dringt, also nicht vordergründig den Konsens, sondern den friedlichen Diskurs zum Ziel hat. Und friedliche Kommunikation ist die Grundlage einer friedlichen Gesellschaft.

Das Motiv des Sprechers entscheidet

In allen Medien und Medienarten fallen heute wie früher harte Worte, auch vonseiten der Politik. Dass Demonstranten staatlich genehmigter Demonstrationen von führenden Politikerinnen als „Covidioten“ (Saskia Esken) oder von Journalisten in der ARD zur Hauptsendezeit vom Chefredakteur als „Wirrköpfe“ und „Spinner“ (Rainald Becker) bezeichnet werden, wird auch in den Hauptmedien kritisch diskutiert, (3) da dies nicht recht zu einer demokratischen Grundordnung zu passen scheint.

Formulierungen wie „Die Todeszahlen sind aktuell so hoch, als würde jeden Tag ein Flugzeug abstürzen“ (Markus Söder) blenden die Realität und das Leiden der 2.500 jeden Tag in Deutschland aus anderen Gründen sterbenden Menschen völlig aus und führen zu einer verzerrten Interpretation und Wahrnehmung. (4) Entschuldigungen sind rar. Fehlertoleranz und Eigenkritik werden zu Mangelware. Die Untersuchungen der Universität Passau zum „Tunnelblick“ von ARD und ZDF in der Corona-Berichterstattung werden von den Sendern zurückgewiesen. Die politische und mediale Rede vom angstschürenden „Kriegszustand“ verschärft derlei Situationen noch. Die Radikalisierung der Sprache bedeutet fehlende Differenzierung und führt zu Angst und psychologisch-gesellschaftlicher Spaltung und schließlich zu einem Verlust von Empathie gegenüber bestimmten Menschengruppen. (5)

Bei alldem geht es nicht darum, dass es inkorrekt oder unethisch wäre, sich harsch und bissig, ja gar als beleidigend empfunden, auszudrücken und dann oft konstatiert wird „Ja, so kann man sich …“ oder „… so darf man sich nicht ausdrücken“ und die Sache damit erledigt ist. Nein, man darf sich genau so ausdrücken. Im Zentrum der Problematik steht vielmehr der fehlende Diskurs, der zu einer Tendenz der Intoleranz im Mantel der Toleranz führt. Toleranz fordert heute, nicht nur zu tolerieren, sondern zu akzeptieren, also alles gut zu finden, ließe sich überspitzt sagen. Gut wiederum ist häufig, was der (scheinbaren) Meinung der Mehrheit entspricht, die ihre „Meinung“ wesentlich aus den Massenmedien speist.

Wer antimassenmediale Kritik übt, ist intolerant und definitiv auf der „falschen Bahn“, ja etwas „spinnerig“ geworden in der letzten Zeit, leider. Bezeichnet einer im Gespräch eine Gruppe pauschal als „Dummköpfe“, lässt sich in einem friedlich und wertschätzend geführten Gespräch nachfragen, was genau mit diesem Begriff gemeint sei; vielleicht der Eindruck des Sprechenden, dass sich bestimmte Menschen aus „Faulheit und Feigheit“, wie Kant es beliebt, auszudrücken, nicht informieren und stattdessen unreflektiert „folgen“. Darüber lässt sich spezifisch sprechen.

Ebenso ließe sich fragen, was genau denn mit „Covidioten“ oder „Querdenkern“ gemeint sei, bevor damit pauschal einem selbst in aller Regel im Einzelnen unbekannte Menschen ausgegrenzt werden und sei es nur dadurch, dass „ich mich von denen distanziere“, wie es allzu oft, welcher eigenen Positionierung auch immer, vermeintlich hinterhergeworfen werden muss. Sind mit denen vielleicht diejenigen gemeint, die die Existenz eines Virus leugnen, die Demokratie abschaffen wollen und für Intoleranz und Gewalt stehen? – Dann ließe sich erörtern, dass es diese Menschen wohl kaum gibt und sie jedenfalls nicht repräsentativ für bestimmte Demonstranten stehen. Sind diejenigen damit gemeint, die auf Basis wissenschaftlicher Kritiken und Untersuchungen, die aber nicht, kaum oder seltener in den Massenmedien erscheinen, eine aktuelle Regierungspolitik infrage stellen, dann ist die viel spannendere, weitere Frage: Warum sollen diese Menschen mittels jener Begriffe offenbar diskreditiert werden, anstatt sich mit den Argumenten auseinanderzusetzen?

Das Motiv des Sprechers, also desjenigen, der einen bissigen oder gar als radikal empfundenen Begriff verwendet, entscheidet darüber, ob ein Diskurs noch friedlich und wertschätzend geführt wird oder nicht. Nur, wenn das Motiv die Ausgrenzung ist, um gerade nicht auf Argumente eingehen zu müssen, dann ist dies der Abschied von Friedlichkeit und Aufklärung. Dann ist die demokratische Diskussionskultur in Gefahr.

Ausgrenzung führt zur Verdummung von Gruppen…weiterlesen hier: https://apolut.net/ausgrenzung-ist-aggression-von-alexander-jacobi

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