Start des 4. Kapitels über Codierung und Programmierung. Das 3. Kapitel hatte die soziale Funktion des Rechts herausgearbeitet. Diese besteht in einer kontrafaktischen Stabilisierung von normativen Verhaltenserwartungen. Nun geht es nun um die Frage: Woran orientiert sich das Rechtssystem bei seiner Entscheidungsfindung, ob etwas Recht oder Unrecht ist?

Anstatt von vorhandenen Kommunikationsstrukturen auszugehen, stellt die Theorie sozialer Systeme die Frage: Wie entwickeln Systeme Strukturen? Bzw. wie haben sie diese entwickelt? Die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht war nicht immer schon da. Sie hat eine Evolutionsgeschichte. Wo ist der logische Ausgangspunkt?

Die Strukturbetrachtung ersetzt Luhmann im Folgenden durch die Unterscheidung von Codes und Programmen, mit denen Systeme ihre Kommunikationsstrukturen begründen und aufbauen. Der Fokus liegt auf der Entwicklung, dem Prozess, durch den Strukturen entstehen.

Ausgangspunkt ist die Erwartung von Recht – im Gegensatz zu Unrecht, das nicht erwartet wird. Die Erwartung von Recht erzeugt ein zweiwertiges Schema: Entweder erfüllen sich die Erwartungen, oder sie werden enttäuscht. Zugleich droht immer eine Kollision gegensätzlicher Erwartungen, die sich beide im Recht wähnen.

Woran orientiert sich das Rechtssystem nun bei seiner Entscheidungsfindung? Luhmann hatte bereits herausgearbeitet, dass das Rechtssystem operativ geschlossen ist, sich selbst beobachtet und an internen Normen orientiert. Nun konstatiert er einen weiteren Abstraktionsschritt, mit dem das Recht seine Entscheidungsfindung gleichsam „überformt“:

Bei der Entscheidungsfindung wendet das Rechtssystem seinen eigenen Code – die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht – auch auf beide Seiten des Erwartungsschemas an: Handelt es sich um rechtmäßige Erwartungen oder um unrechtmäßige? Ein solcher Abstraktionsschritt ist, wie Luhmann betont, evolutionär nicht selbstverständlich, er war sogar unwahrscheinlich. Die Voraussetzung dafür waren exzeptionelle evolutionäre Bedingungen.

Diese Bedingungen finden sich in Europa im Römischen Zivilrecht. Es unterschied bereits früh zwischen Recht und Unrecht. Die Anwendung dieser Unterscheidung auf Delikte und Verträge führte dazu, dass sich die harte Festlegung von Recht oder Unrecht im Alltag ausbreiten und eine Tradition begründen konnte.

In anderen Hochkulturen wie in Japan entwickelte sich eher eine Abneigung dazu, Konflikte in Rechtskonflikte zu verwandeln. Anstatt den Gegensatz von Recht/Unrecht zu betonen, stand die Harmonie der Gesellschaft im Vordergrund. Das Recht differenzierte sich darum oft nur für Strafrecht, Organisations- und Verwaltungsrecht aus, also für Konflikte, die nicht durch Schlichtung zu lösen sind. Streitschlichtung relativiert ja gerade den Gegensatz von Recht/Unrecht, um zu einer sozialverträglichen Einigung für beide Seiten zu kommen. (Man beachte, dass der Rechtsbegriff des Vertrages auch in dieser soften Formulierung durchblitzt.)

Die evolutionäre Unwahrscheinlichkeit, dass es zur Ausdifferenzierung eines Funktionssystems auf der Grundlage der harten Unterscheidung von Recht/Unrecht kommen konnte, wird von Luhmann mehrfach betont.

Die Entstehung dieser Unterscheidung und ihre Evolution analysiert Luhmann nun mithilfe einer Tabelle. Diese abstrahiert in fünf Schritten, wie es zu einer solchen Unterscheidung kommt und wie ein System auf diesem Code aufbauend auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung (Beobachtung von Beobachtungen) Programme entwickelt, an denen es sich orientiert – was ja die Ausgangsfrage war.

Weiterlesen: https://www.luhmaniac.de/podcast/codierung-programmierung-entparadoxierung

Podden och tillhörande omslagsbild på den här sidan tillhör J. Feltkamp, U.Sumfleth. Innehållet i podden är skapat av J. Feltkamp, U.Sumfleth och inte av, eller tillsammans med, Poddtoppen.