S. 153 bis S. 159 (Zeile 2)

Die Frage, welche Funktion das Recht für die Gesellschaft hat, führt zu dem allgemeinen Problem, dass abstrakte Begriffe häufig unanalysiert übernommen werden, was zu falschen Schlussfolgerungen führt. Der Begriff der Funktion wird als bekannt vorausgesetzt, anstatt ihn zu hinterfragen und zu definieren.

Diese Ungenauigkeit führt dazu, dass der Funktionsbegriff zu weit gefasst wird. Häufig zieht man einen Geschichtsvergleich. Man beruft sich auf einen willkürlichen Zeitpunkt in der Vergangenheit, in der das Recht bestimmte Ordnungsleistungen zu erfüllen schien, und vergleicht dann mit der Gegenwart, um einen Funktionsverlust zu unterstellen. Diese Vorgehensweise übersieht, dass die Funktion „nur“ darin besteht, Verhaltenserwartungen kontrafaktisch zu stabilisieren.

Setzt man die Funktion zu weit an, wird entsprechend falsch geschlussfolgert. Die Funktion scheint dann z.B. in Herstellung einer Hierarchie, sozialer Kontrolle oder Inklusion zu liegen. Der historische Vergleich scheint solche Betrachtungen nahezulegen. Auch der Anschein einer Steuerung der Gesellschaft oder dass die Funktion sich gewandelt hätte, wird dadurch erweckt. Zugleich werden die jeweiligen Erwartungen der Gesellschaft in einer Epoche unhinterfragt als Maßstab angesetzt, z.B. die traditionelle Vorstellung, das Recht hätte eine Integrationsfunktion in Bezug auf Gleichheit. Moralisch geprägte Wunschvorstellungen ergeben dann zwangsläufig ein negatives Bild. Demnach hätte das Recht seine Funktion nur mangelhaft umgesetzt oder gar versagt.

Kurz, eine unhinterfragte Funktionsbestimmung führt zu falschen Aussagen. Dasselbe gilt für die Gegenargumentation, wenn diese nur die gleichen Vorurteile konträr reflektiert.

Luhmann fordert darum begriffliche Genauigkeit bei allen Begriffen, die im Kontext der Funktion eine Rolle spielen, weil sie miteinander vernetzt sind. In diesem Fall sind das: soziale Kontrolle, Inklusion, Sollen, Wert, Gleichheit, Konsens, Zwang, Zeit, kontrafaktische Stabilisierung. Falschannahmen sind auch so nicht auszuschließen, aber immerhin trägt das so erhöhte Abstraktionsniveau zur Theoriebildung bei.

S. 156: Abschnitt VI

Funktion und Leistung sind nicht zu verwechseln. Die Funktion bezieht sich auf das Gesellschaftssystem als Einheit. Sie besteht wie gesagt in der kontrafaktischen Stabilisierung von Verhaltenserwartungen. Sie besteht damit zugleich nicht in einer Verhaltenssteuerung. Dass trotzdem Steuerungseffekte beobachtbar sind, weil z.B. das rechtskonforme Verhalten in einem Bereich steigt, ist jedoch nur eine Folge dessen, dass das System seine Funktion erfüllt.

Normative Erwartungen in Bezug auf rechtskonformes Verhalten durchziehen die ganze Gesellschaft. Das beginnt schon im Straßenverkehr, wo jeder von jedem erwartet, sich an die Regeln zu halten. Sie finden sich in allen Funktionssystemen (etwa in der Wirtschaft), Interaktionssystemen (Kommunikation unter Anwesenden) und Organisationssystemen (die keine einzigartige spezifische Funktion erfüllen).

Auf dieser Ebene kann rechtskonformes Verhalten in gewisser Hinsicht gesteuert werden, z.B. indem man Kreditkarten prüft. Hier mögen auch Anwälte mitwirken, die rechtliche Fragen prüfen, aber die Funktion des Rechtssystems für die Gesellschaft ist davon unberührt.

Verhaltenssteuerung ist somit eine Art Nebenleistung, die das Recht durch Ausübung seiner Funktion nach sich zieht. Sie ist ein Effekt der Funktionserfüllung, nicht die Funktion selbst.

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